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Praxisbericht:

"Ganz neue Blickwinkel auf die Welt" - bei der Schülerakademie China

Heidelberg Schülerakademie China

Maximilian hat auf der Schülerakademie Odila Schröder und Jonas Schmid interviewt. Sie waren im Sommer Kursleitende des Kurses: "Vier Generationen unter einem Dach: Geschichte(n) Chinas im 20.Jahrhundert - Eine Familie erzählt".

Was ist das Beste an der Akademie?

Odila: Viele unglaublich motivierte Schüler:innen kennen zu lernen. Euch arbeiten zu sehen, lernen zu sehen und zu sehen, wie ihr Verantwortung für Projekte übernehmt. Sei das im Kurs oder sei das in den kursübergreifenden Aktivitäten - das war ganz wunderbar für mich.

Jonas: Ich kann mich dem nur anschließen. Ich war auch echt begeistert, wie fit ihr alle wart, wie gut ihr mitgearbeitet habt, gerade auch in Diskussionen. Ich glaube, da kamen auch für uns immer wieder neue Perspektiven und Sichtweisen auf, obwohl wir uns ja wirklich täglich mit dem Thema China beschäftigen. Aber man ist dann doch teilweise in seinem Tunnelblick und da von euch nochmal eine Außenperspektive, den Blick von außen zu bekommen, das ist echt sehr wertvoll.

Odila: Manchmal sind die naiven und grundsätzlichen Fragen genau die interessanten.

Jonas: Und gar nicht so naiv, das muss man glaube ich dazu sagen.

Odila: Also die grundsätzlichen Fragen, an denen wir häufig glauben schon vorbei zu sein, habt ihr uns auf dem goldenen Tablett serviert, uns damit konfrontiert – das war auch für uns nochmal ein großer Lernprozess.

Was war dein persönlicher Lieblingsmoment während der Schülerakademie?

Jonas: Das ist jetzt natürlich schwierig. Es gab viel zu viele würde ich sagen. Also es ist natürlich zuerst mal sehr schade, dass wir alle nicht am selben Ort sind. Ich glaube dann wären die Gruppendynamik, das Gruppengefühl noch viel stärker gewesen und man hätte viele Gespräche nebenher geführt.

Odila: Für mich vielleicht der Abend “Kursleiter berichten”. Da kam eine Gruppe aus jungen Frauen, die sich interessierten, wie ihr zukünftiges Leben aussehen kann, zu mir. Da war für mich superspannend zu sehen, welche Visionen die schon haben und als Mentorin zu fungieren. Das war einfach ein sehr intensiver Austausch in den zwei Stunden. Aber sonst gab es im Kurs genug Momente bei denen ich dachte: sehr cool.

Jonas: Ja. Auch in den Diskussionen. Und ich fand auch das gemeinsame Kochen irgendwie sehr schön. Vielleicht einfach, weil man nochmal so alle Personen in einem ganz anderen Kontext gesehen hat und das hat mir auch sehr gut gefallen.

Was können die Deutschen noch von den Chinesen lernen?

Odila: Also was ich in China immer wieder gelernt hab, jedes Mal, wenn ich da war, war das Gefühl eines Strebens und Offenheit gegenüber Anderen/m. Seien es andere Kulturen, seien es andere Länder, seien es einfach andere Menschen. Das ist ein Gefühl, dass ich mir in Deutschland viel stärker wünschen würde. Wobei wir das auf der Akademie tatsächlich schon hatten... Ich nehme es in der Gesellschaft aber nicht immer wahr. Da habe ich die chinesische Gesellschaft als extrem offen kennengelernt und sehr schätzen gelernt.

Jonas: Ich würde die Frage vielleicht ein bisschen umformulieren. Nicht: Was können wir von China lernen? Sondern: Was können wir durch die Beschäftigung mit China, mit Chinesisch lernen? Und aus meiner eigenen Erfahrung: Chinesisch zu lernen und sich mit Kultur, Gesellschaft, Politik und Geschichte Chinas auseinanderzusetzen, hat mir wirklich ganz neue Blickwinkel auf die Welt eröffnet. Das erste Mal ging es mir so, als ich während der Schulzeit angefangen habe, Englisch zu lernen und englische Texte zu lesen.

Das war so: Oha krass, man kann ja auch so auf die Sachen blicken. Und Chinesisch zu lernen oder auch in diese chinesischen Diskurse einzutauchen, das hat dann nochmal ein neues Fenster geöffnet, und ich glaube diese Beschäftigung mit einer anderen Sprache, mit einer anderen Kultur ist einfach super wertvoll. Und das muss auch nicht unbedingt China oder Chinesisch sein, aber da sich irgendwie diese Offenheit zu behalten, neugierig zu bleiben, Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, ich glaub das ist das, was wir auch von der Akademie alle mitnehmen können.

Odila: Die Erkenntnis ist irgendwie am größten, wenn der Konflikt groß war und der eigene Perspektivenkonflikt ist einfach so groß, wenn man mal nach China guckt, dass man sich seiner eigenen Vorurteile so viel schneller bewusst wird und da ganz viel über sich selbst lernt, neu hinterfragt. Das finde ich toll an meiner Beschäftigung mit China. Das klingt vielleicht auch egoistisch, so ist es aber.

Jonas: Vielleicht noch etwas. Ich glaube, was China einfach auch immer wieder zeigt, ist, dass – und das ist nicht nur bei China so, sondern bei allen Themen, denke ich – wie wichtig es ist, zu differenzieren. Also egal welches Thema man behandelt, quasi immer kleiner draufzuschauen und nochmal vielleicht die eigenen Gedanken und Vorüberlegungen zu reflektieren.

Sich mit der Kultur, Gesellschaft, Politik und Geschichte Chinas auseinanderzusetzen, hat mir wirklich ganz neue Blickwinkel auf die Welt eröffnet.
Jonas Schmid

Was ist euer chinesisches Lieblingswort?

Odila: 随便 suibian.

Jonas: Ja sehr gut.  Du musst vielleicht noch erklären was suibian heißt.

Odila: Ja, das ist halt so schwer zu erklären. Also so „Ja egal"… „Irgendwie“... „Geht schon“ ...„Passt”.

Was ich auch ganz toll finde ist 玩儿 wan’er, spielen. Aber eigentlich jede Beschäftigung die man mit Freude und Interesse macht.

Jonas: Ja, da hast du recht. Was ich auch sehr schön finde ist 乱七八糟 „luanqi-bazao". Das ist so total durcheinander, Chaos. Im Chinesischen ist das eigentlich negativ besetzt, aber zumindest für mich persönlich hat es auch irgendwie etwas Positives. So die Messiness, das Durcheinander, dass man da immer wieder auch aus dem Chaos neue Sachen sieht, die man vorher nicht gesehen hat. Und das ist auch irgendwie das Gefühl, wenn man sich mit China beschäftigt oder manchmal in China vor Ort ist. Ja es ist alles irgendwie durcheinander, aber das ist gleichzeitig auch das Faszinierende.

Odila: Ich habe auch noch zwei! 知音 zhiyin oder 知己 zhiji, das ist der/die, der/die dich wirklich kennt oder der, der deinen Ton, deinen Klang wirklich kennt. Das mag ich natürlich als Musikerin sehr gerne. Ich habe das das erste Mal eindrucksvoll gelesen in einer Widmung einer Monographie. Ich glaub von einer Doktorarbeit wo drin stand „for my zhiyin" - da wo sonst drinsteht „für meine Eltern“ oder „für meine Kinder"... Aber die Arbeit dem/der oder all denen zu widmen, die einen wirklich kennen oder sein Leben mit Leuten zu verbringen, die einen wirklich kennen, die einen wirklich verstehen... und zwar die – für mich als Musikerin oder als Sängerin – die meinen Klang verstehen. Das finde ich ein unglaublich tolles Konzept und das hätte ich gern im Deutschen.

Jonas: Jetzt haben wir schon viel zu viele Wörter.

Was fasziniert euch an China?

Jonas: Ich glaub bei mir ist das gar nicht so China-spezifisch. Also ich bin irgendwie bei China hängen geblieben und das Faszinierende ist, dass ich wirklich jeden Tag neue Dinge lernen kann und das, was ich meine zu wissen, jeden Tag neu herausgefordert wird, neu auch immer mal wieder über den Haufen geworfen wird, ich umdenken muss, ich quasi flexibel bleiben muss.

Man denkt: Oh, jetzt hat man irgendwie irgendetwas verstanden und dann kommt irgendetwas Neues um die Ecke und man denkt: „Okay, irgendwie weiß ich doch nichts." Und das ist ernüchternd und spannend zugleich. Also ich kann's nicht beschreiben dieses Gefühl, aber irgendwie lässt mich China nicht los. Einfach weil es so viele verschiedene Facetten hat.

Odila: Ja, wobei die Facetten nicht immer positiv sind. Also nicht bei allem, was man aus China wahrnimmt, denkt man sofort: „Oh wunderschön“ oder „Das will ich mir jetzt unbedingt angucken, das zieht mich irgendwie an“. Aber selbst bei den Aspekten, die das nicht tun, habe ich teilweise einfach sogar das moralische Gefühl, dass ich mich damit auseinandersetzen muss, denn es ist wichtig für unsere Gesellschaft. Ich will das hier gar nicht so staatsbürgerlich framen aber… Ja mich hat’s auch nie losgelassen. Ähnlich wie Jonas glaube ich, ich bin da ein bisschen hängen geblieben. Es ist irgendwie ein tiefer See, der sich nicht erschöpfen lässt.

Jonas: Es macht halt auch Spaß, das muss man auch mal so sagen.

Odila: Ja genau! Und es macht halt auch Spaß, auch wenn es wirklich hart ist.

Jonas: Vielleicht ist es auch eine Art Selbstschutz. Nachdem man so viel Zeit da rein investiert hat und sich wahrscheinlich schon Monate lang irgendwelche chinesischen Schriftzeichen in den Kopf geprügelt hat und sich durch irgendwelche alten Texte gequält hat, dann will vielleicht irgendwann auch das eigene Hirn nicht mehr, dass man sagt: „Mach‘ was anderes."

Was hat euch dazu bewegt, diesen Kurs anzubieten?

Odila: Vielleicht als Hintergrund. Wir arbeiten beide seit Oktober 2020 für die China-Schul-Akademie. Das ist ein Projekt gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung am sinologischen Institut der Universität Heidelberg. Jonas arbeitet da als Doktorand. Ich schreibe meine Doktorarbeit in England fertig, aber arbeite da als wissenschaftliche Mitarbeiterin weiter. Und was wir da machen, ist Unterrichtsmaterialien zusammenstellen für Lehrer:innen, die gerne China in ihren Fachunterricht einbringen wollen. Das heißt, wir haben einen gewissen Bezug – natürlich zu China als Sinolog:innen – aber auch zur pädagogischen Arbeit, damit China noch mehr in den Schulen ankommt.

Und innerhalb dieses Projektes sind wir aufmerksam geworden auf die Schülerakademie China. Ich kannte das auch schon vorher von Freunden, die das gemacht haben – entweder ausgerichtet haben oder teilgenommen haben – und fand das schon immer ein ganz tolles Konzept. Ich hatte selber in der Studienstiftung wunderbare Erfahrungen auf den Sommerakademien, die als Format ähnlich sind, und hab sofort zu Jonas gesagt: „Ja, das müssen wir unbedingt machen."

Jonas: Also wir wollten einen Kurs anbieten und es war auch klar, dass wir etwas mit Geschichte machen. Wir hätten auch ins 15. Jahrhundert gehen können.

Odila: Du vielleicht.

Jonas: Das war am Anfang zumindest meine Überlegung. Aber wir haben uns auch gefragt: Was könnte man auch mal ein bisschen anders betrachten? Und da einfach die Geschichte Chinas aus dem letzten Jahrhundert, weil das einfach noch relativ nah ist und weil es da auch viele Quellen, viele Materialien leicht zugänglich gibt. Wie kann man das mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten? Also mal nicht die großen Männer, nicht nur die Politik, nicht nur die Ereignisgeschichte, sondern eben der Blick auch auf die Unterschiede, die verschiedenen Perspektiven. Das zu differenzieren, die einfachen Leute in den Blick zu nehmen, das war unser Gedanke.

Odila: Ja… Ich erzähl jetzt einfach die Anekdote. Also, ich habe bis Oktober 2020 in Nottingham promoviert zur Propagandamusik im kriegszeitlichen Peking (also von 1937 bis 1945). Und klar, da guckt man sich ganz viele Texte an, liest ganz viel was darüber schon geschrieben wurde. Man erhält auch irgendwie ein Bild, wie es in der Zeit vielleicht war. Ich habe auch mit Familienmitgliedern und sogar Leuten gesprochen, die das tatsächlich erlebt haben. Ja, und dann redet man auf Konferenzen und erzählt das.

Aber für mich war der Moment, in dem das plastisch geworden ist ein ganz anderer. Und zwar als mich eine Romanautorin aus New York angeschrieben hat. Die hatte – keine Ahnung wie – mitbekommen, dass ich einen Vortrag in den USA gehalten hab. Und sie hat mir dann eine E-Mail geschrieben und meinte, sie schreibt gerade einen Roman, in dem eine der beiden Hauptpersonen im Shanghai der 1930er/1940er-Jahre professionell westliche Musik praktiziert. Und dann wollte sie wissen, wie der so gelebt hat. Ein 14-jähriger Junge 1938 in Shanghai. Und das war für mich das erste Mal, wo ich in der Form darüber nachgedacht habe. Wo hat er seine Geige her? Wer ist sein Geigenlehrer? Was hört er für Musik? Hat er ein Radio? Hat er Zugang zu Opern oder Konzertaufführungen? Also alles Sachen über die ich vorher zwar in wissenschaftlichen Artikeln viel drüber gelesen hatte, aber das an einer Figur festzumachen und zu überlegen: Was hat ein 14-jähriger Junge in Shanghai zu der Zeit tatsächlich gesehen, das dann einer Romanautorin zu schreiben und Monate später dann ihren halbfertigen Roman zu lesen und zu gucken, wie sie die Sachen dann darin umgesetzt hat, das war… einfach sehr cool. Und ich glaube seitdem lese ich Artikel auch anders als ich es vorher getan hab. Und die Hoffnung war quasi, dass ihr vielleicht auch so ein ähnliches Erlebnis habt, wenn wir euch ein bisschen zwingen, so zu denken.

Ansprechpartner:in

Julian Kothen, Projektmanager für die Schülerakademie China